Vor Kurzem las ich einen Text der neuen S.P.O.N.-Kolumnistin Margarete Stokowski, der mir aus der Seele sprach. Es ging um Politiker, die sich wegen des Flüchtlingszustroms sorgen, weil er unsere Werte in Gefahr bringen könnte. Erika Steinbach, Joachim Gauck und einige andere konservative Politiker wurden als Beispiele angeführt. Der Text handelte davon, dass ausgerechnet diejenigen Angst um westliche Errungenschaften wie die Frauenrechte haben, die ansonsten ganz wild gegen eine Quote in Führungsetagen kämpfen (Erika Steinbach). Wer bislang erzkonservativ in die moderne Welt blickte und eher bedenken hatte, wenn Frauen tatsächliche Gleichberechtigung forderten, will plötzlich die Frauen und die Homosexuellen vor den ankommenden Muslimen geschützt sehen. Das verwundert.
Refugee Rights Protest in Melbourne / © Takver CC
Ich fragte mich schon eine Weile: Ja, wieso denn? Gibt es nicht viele Parallelen zwischen dem deutsch-konservativen Lager und den angeblichen Modernisierungsverweigerern, die nun zuwandern? Könnten die flüchtenden Muslime, die man bei solchen Diskussionen zwingend immer über einen Kamm zu scheren hat, nicht helfen das Wertgefüge des Abendlandes wieder gerade zu rücken? Wollten nicht viele Konservative ebenfalls zurück in eine Welt ohne Quoten, Homosexuelle, arbeitende Frauen und all dem neumodischen Zeug? Selbst der mehrfach beschriebene latente Antisemitismus könnte wieder ans Tageslicht befördert werden. Unverhohlen und offen.
Das scheint natürlich etwas überspitzt, aber Michel Houellebecq zeichnet dieses Bild in seinem großartigen Roman Unterwerfung, in dem er Frankreich als ein Land im Ausnahmezustand skizziert. Bürgerkriegsähnliche Zustände im Jahre 2022. Frauen kleiden sich bedeckt und hören auf zu arbeiten, die jüdische Bevölkerung flieht nach Israel und die Islamisierung schreitet voran. Makabererweise erschien der Roman am Tag der Anschläge auf Charlie Hebdo, was die Relevanz seines Inhalts unterstrich. In Unterwerfung wird mit den Ängsten vor einer Islamisierung gespielt, was dem Autor auch etliche Vorwürfe einbrachte.
Der spannende Kniff: Bei Houllebecq bekennt sich die rechte, gebildete, konservative Schicht zu der neuen muslimischen Führungspartei, die ihnen hohe Löhne, mehrere Ehefrauen und die Rückerkehr zu althergebrachten Werten ermöglicht. Und da stellt sich doch die Frage: wäre das nicht eigentlich auch ganz im Sinne von Horst Seehofer und der anderen so oft gescholtenen ‘alten, weißen Männer’?
Aber ich möchte niemanden in eine falsche Ecke drängen. Ein Roman ist nicht die Realität. Und vielleicht meint ihr es ja ernst, liebe Erika Steinbachs und Andreas Scheuers, mit dem Schützen unserer Werte und eben auch der Frauenrechte. Und wenn dem so ist, dann freue ich mich, euch nun auf meiner Seite zu haben. Denn, wenn es einen Zeitpunkt gibt, an dem es Sinn macht, unsere Freiheit zu stärken und zu zeigen, was es bedeutet in einer toleranten Gesellschaft zu leben, die Chancengleichheit anstrebt und das Mitspracherecht eines jeden würdigt, dann ja wohl jetzt, wo wir es auch noch Tausenden vorleben und erklären müssen, worauf unser Zusammenleben basiert. Jetzt, wo wir zeigen müssen, dass wir das alles können, obwohl wir doch selbst ständig im Dunklen tappen.
Wenn ihr diese Errungenschaften schützen wollt, dann am Besten, indem ihr ein Zeichen setzt. Blockiert nicht länger die 30 % Frauenquote in Führungspositionen, die Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schafft das Ehegattensplitting ab, hört auf nach Herdprämien zu rufen und kümmert Euch um Kitaplätze und Bildungsgerechtigkeit. Das würde nicht nur lange schwelende Konflikte lösen, sondern auch die Integration erleichtern. Denn es kommen viele Kinder zu uns und diese haben ein Recht auf Bildung. Am Besten so schnell wie möglich und zusammen mit den Kindern, die bereits hier leben.
Notunterkunft Berlin / © Katja Hentschel
Natürlich geht das alles nicht von heute auf morgen. Schon klar. Aber mit Euch an unserer Seite schaffen wir das. Stimmt’s? Es wäre doch schade, wenn bei all euren großen Worten von Toleranz, Offenheit und Gleichberechtigung nur der schale Beigeschmack bliebe, dass ihr sie anführt, um die Hilfesuchenden auszuweisen.
Und ihr braucht euch auch nicht zu sorgen. Wenn es eines Tages, gegen wen auch immer, all diese Errungenschaften zu verteidigen gilt, könnt Ihr Euch sicher sein, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Es liegt ein weiter Weg gegen die konservativen Kräfte hinter den Frauenrechtlern und Toleranzerzwingern, hinter den unehelichen Kindern, den LGBT-Rechtlern und so vielen anderen und sie werden es wieder tun, auch zugunsten der Flüchtlinge. Denn einer der Gründe, warum so viele Menschen nach Deutschland kommen wollen, liegt genau in diesen Freiheiten begründet. Sie kommen zu uns, weil sie endlich so sein wollen, wie sie sind und weil sie aus Diktaturen und Kriegen flohen, die ihnen dies verwehrten.