“Ich habe keine Zeit” – das Problem einer Generation
Aufstehen, Handy checken, duschen, Frühstück machen, Kind zur Kita bringen, arbeiten, Kind abholen, Spielplatz, einkaufen, Abendbrot machen, Kind ins Bett bringen, Netflix, schlafen. Wieviele Tage ziehen so oder so ähnlich an mir vorbei? An wie vielen Sonntagen staune ich wie schnell die Woche wieder vorüber ist, fast so als hätte ich sie in einem Wachkoma erlebt? Genau wann habe ich aufgehört mein Leben bewusst zu leben und nur noch per Autopilot durch den Tag zu steuern?
Ich will das so nicht.
Es ist an der Zeit etwas dagegen zu tun und Herbst scheint mir ideal, um wieder meine Mitte zu finden, das Leben zu genießen und das Beste aus den Momenten, die mir zur Verfügung stehen, herauszuholen. Ich vermisse es mir Zeit zu nehmen für kleine Dinge – das Ausprobieren neuer Rezepte, das Lesen von Büchern, das Sammeln von Inspiration. Es gibt viele Dinge, die ich wieder mehr und bewusster tun will und deswegen stelle ich mir selbst eine Herausforderung: ich will achtsamer leben.
Achtsamkeit, das ist nicht nur ein nerviges Modewort von veganen, mitdreißiger Yogatanten und Prenzlauer Berger Helikoptereltern, es ist die Antwort, ja vielleicht sogar die Medizin für die Flut in der wir uns aktuell befinden. Informationen und Konsum, Sozialem Druck und Negativnachrichten – all das kann ziemlich überwältigend sein. Laut Wikipedia ist Achtsamkeit “ein Moment passiver Geistesgegenwart, in dem ein Mensch hellwach den gegenwärtigen Zustand seiner direkten Umwelt, seines Körpers und seines Gemüts erfährt, ohne von Gedankenströmen, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt zu sein, ohne darüber nachzudenken oder diese Wahrnehmungen zu bewerten.”
Gar nicht so einfach in Zeiten von Internet, Smartphoneabhängigkeit und schnelllebigem Großstadtdschungel. Generell gilt Mediation als das Go-To für mehr Achtsamkeit, aber im klassischen Sinne ist das nichts für mich. Ich empfinde wenig Enthusiasmus für die Vorstellung mich jeden Morgen 15 Minuten im Schneidersitz auf dem Bett in eine Art Nirvana zu Ommen, das passt einfach nicht zu mir. Allerdings können soviel mehr Dinge meditativen Charakter haben und genau darum soll es in diesem Beitrag gehen.
Kleine Challenges
Da ich kein Fan von unerreichbaren Zielen bin, fange ich klein an und möchte mir für das kommende Jahr 12 Ziele setzen, eins für jeden Monat, in denen ich bewusst etwas für mich tue. Es sollte etwas sein, was mich genug fasziniert, dass ich mich komplett darin investieren kann, ohne Blick aufs Handy, ohne Ablenkung, eine Handlung, die vorzeigbare Früchte trägt, die mich daran erinnert, wie ich etwas nur für mich getan habe, für mehr als 10 Minuten. Ich habe mal ein wenig in meinem eigenen Interessenpool gekramt und dabei folgende Mini-Challenges für mich entschieden:
1. DIY Projekt Kommode: seit 3 Jahren wohnt in meinem Schlafzimmer eine kleine Vintagekommode, die es verdient hat aufgehübscht zu werden. Ich habe bereits ein komplettes Pinterest Board mit Ideen erstellt, wie so etwas aussehen könnte. Zeit es endlich in die Tat umzusetzen.
2. Wohnzimmer upgrade: ich liebe mein Wohnzimmer, aber es sieht seit 3 Jahren gleich aus und ich habe Lust auf Veränderung. Genauer gesagt, gibt es 2-3 Stellen, die ich schon lange mal angehen und verändern wollte – neue Stühle für den Esstisch, raus mit dem TV-Regal (und dem TV, der ohnehin nie angeschlossen war), Einordnung des vielen Papierkrams, der sich unübersichtlich stapelt…. Es soll endlich so aussehen, wie ich mir das immer vorgestellt hatte.
3. Einen neuen Skill lernen. Vor kurzem hatte ich zwei Mal kurz hintereinander das Glück an einem Töpferkurs teilzunehmen und es hat mir richtig viel Spaß gemacht. Zum einen war der kreative Prozess genau mein Ding, zum anderen war es aber auch spannend einfach mal wieder etwas Neues zu lernen. Gerne würde ich noch mehr zu dem Thema lernen, aber es gibt auch so viele andere Dinge, die ich gerne ausprobieren will. To be confirmed.
4. Wieder zu Malen anfangen. Mit 18 habe ich mal an einer Schule in Berkeley, Kalifornien einen Kunstkurs belegt, der mir gezeigt hat, wie schön es ist mit Acryl- und Ölfarben auf Leinwand zu malen. Fortan war das über mehrere Jahre Teil meines Lebens und etwas, was ich hin und wieder tat, vor allem, wenn mir die Decke auf den Kopf fiel und ich irgendwie das Gefühl hatte etwas rauslassen zu müssen. Mehr als 10 Jahre ist es her, dass ich so gemalt habe, es ist wieder an der Zeit.
5. Ein Makramée basteln. Vor einiger Zeit hatte ich das Glück am Makraméekurs von California Dreaming hier in Berlin teilnehmen zu dürfen und hab sofort Feuer gefangen. Damals wurde uns gezeigt, wie wir einen wunderschönen Pflanzenhänger anfertigen können und bis heute erfreue ich mich täglich an dem schönen Hänger in meinem Wohnzimmer. Ich hatte immer geplant mich auch mal an einem Wallhanging zu probieren, nun endlich soll es so weit sein.
6. Ein Buch lesen, das kein Sachbuch ist. Für die meisten ist es vielleicht keine große Sache eine Novelle zu lesen, aber ich hab das ewig nicht getan. Das steht für mich auf einer Stufe mit Spa Treatment und Wochenendausflug. Wenn ich lese, dann eigentlich ausschließlich Sachbücher, bei einem Wissen anreichern. Einfach nur abschalten und in eine andere (Buch-)welt absteigen, das ist lange überfällig. Hat irgendwer Tipps für gute Titel?
7. Ein besonderes Fotoprojekt realisieren. Als Fotografin habe ich immer wieder mal Ideen für Fotoprojekte, aber eines trage ich nun schon lange mit mir herum, was ich bislang nur sporadisch, aber wenn dann mit viel Begeisterung, realisiert habe. Ich nenne es “Eine Stunde im Leben von…” und es geht dabei um das Dokumentieren von nur einer Stunde im Leben eines Menschen oder einer Familie, möglich repräsentativ, möglichst ungestellt. Mindestens 5 neue Porträts für die Serie sollen es werden.
8. Experimente mit Atlas. Ich muss leider zugeben, dass es mir nicht sonderlich viel Spaß macht mit meinem Kind zu spielen. Bei Friseur und Puppenhaus wär ich ja noch dabei, aber bei Kämpfen und Schlossdrachen besiegen steige ich aus, das muss der Bub mit sich selbst ausmachen. Ich gebe mein Bestes uns anderweitig Quality-time zusammen zu organisieren, aber ich weiß auch, dass da noch mehr gehen müsste. Eine der vielen Leidenschaften meines Sohnes sind Experimente und davon gibt es ja wirklich so einige. Vor allem unser großes Experimentebuch von Saralisa Volm ist hierbei der beste Begleiter, darin befinden sich viele verschiedene Experimente, die Spaß machen, ohne zu kompliziert zu sein. Einmal die Woche ist Experimentezeit! Das muss einfach sein.
9. Go Marie Kondo. Ich geb’s zu, ich ertrinke in Zeug. Kindersachen von 5 Jahren, die ich noch immer noch verkauft oder weggegeben habe, Klamotten, die ich längst nicht mehr trage und allem möglichen Kram, der einfach nur Staub fängt. Alles muss raus, Platz zum Atmen muss stattdessen ran. Im kleinen Rahmen habe ich mich bereits daran probiert, aber ich muss noch viel rigoroser aussortieren. Und wenn es eine Achtsamkeitschallenge braucht, um das endlich zu tun, dann ist das eben so.
10. DIY Weihnachten Ich kann gar nicht sagen warum, aber in diesem Jahr freue ich mich mehr als sonst auf Herbst, Winter und eben auch Weihnachten. Ich kann es kaum erwarten Plätzchen zu backen und mit heißem Kakao auf der Couch zu sitzen und auf den beleuchteten Weihnachtsbaum zu starren. Dieses Jahr hab ich auch so richtig Lust auf selbstgebastelte Kalender, DIY Geschenke für Freunde und Familie und festliche Dinnerparties. In den letzten Jahren habe ich mich hier eher gedrückt und mir eingeredet ich hätte keine Zeit. In diesem Jahr nehm ich sie mir einfach.
11. Ein Tag für mich. Obwohl ich öfter Dinge bewusst für mich tue, kam es bislang noch nicht vor, dass ich mir einen kompletten Tag gegönnt hätte. Ich habe immer das Gefühl, dass ich doch auch etwas arbeiten müsste, wenn das Kind schon in der Kita ist, oder eventuelle Freizeit sonst irgendwie kompensieren sollte. Seit Monaten wartet eine Freikarte vom Vabali Spa darauf von mir eingelöst zu werden, seit Monaten würde ich gern mal wieder alleine ins Kino gehen und mir im Niveahaus die Füße pediküren lassen. Auch mal wieder offline Klamotten shoppen hört sich toll an! Ein ganzer Tag soll es sein, krieg ich hin.
12. 5 Kaffees mit Fremden. Vor 2 Wochen habe ich mich in einem Coworking Space in Berlin angemeldet, in dem ich seitdem fast 5 Tage die Woche sehr gern und produktiv arbeite. Es ist relativ einfach hier neue Leute kennenzulernen, wenn man es darauf anlegt und genau das war für mich zu Beginn auch das Spannende an diesem Ort. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt mir meinen Platz zu suchen, zu arbeiten und irgendwann wieder abzuhauen. Das muss so nicht sein und ich mach es mir zur Hausaufgabe mindestens 5 neue Leute hier auf einen Kaffee und ein Gespräch zu treffen!
Das waren sie, meine 12 Monate Achtsamkeit, übrigens in keiner besonderen Reihenfolge. Ich nehme mir die Freiheit es spontan zu entscheiden, welchen Punkt ich in dem Monat angehen möchte, außer vielleicht Punkt 10 – der wird vermutlich wirklich im Dezember geschehen.
Übrigens habe ich auch total Lust auf einen kleinen Club, falls es unter euch einige gibt, die Lust haben die Challenges mit mir zu machen. Dann kann man sich austauschen und accountable bleiben. Quasi eine Art Weight Watchers für Mindfulness! Schickt mir dafür einfach eine Email an Katja@glowbus.de – ich würd mich freuen!