Als wir Glowbus gründeten, nahm ich mir vor, ganz viele großartige Frauen zu interviewen. Ständig. Oder zumindest alle zwei Wochen. Ich wollte sie treffen, nach ihrem Job und ihrem Leben fragen und tiefgründige Portraits schreiben. Wie so oft war die Zeit jedoch schneller als meine Phantasie und so habe ich zwar viele aufschlussreiche Interviews geführt, aber es waren eindeutig zu wenige.
Weil Glowbus meiner Meinung nach aber ein Ort sein soll, an dem unterschiedlichste weibliche Positionen und Persönlichkeiten ihren Platz finden, habe ich nun diesen 5 Fragen – 5 Fakten-Fragebogen zusammengestellt, der Einblicke, Inspirationsquellen und Ansichten zum Thema ‚Frau-sein’ zu Tage befördern wird.
Für den ersten Fragebogen wollte ich nun eine Frau gewinnen die wirklich etwas zu sagen hat , und es ist mir gelungen. Den Anfang macht Katja Kullmann. Journalistin, Autorin und seit März 2016 Vize-Chefredakteurin der Wochenzeitung Der Freitag. Sie schrieb unter anderem: GENERATION ALLY –Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein und ich bin gespannt, was wir zukünftig noch alles von ihr lesen dürfen. Heute antwortet sie erst einmal bei uns. Ausführlich und bereichernd…
5 FRAGEN:
Wovon träumst Du nachmittags?
Vom Tanzen. Die meiste Zeit sitze ich ja am Schreibtisch, mit den Fingern an der Tastatur. Nachmittags, so zwischen 14 und 16 Uhr, sackt mein Geist oft für ein Weilchen ab. Entweder ich gehe dann an die frische Luft. Oder ich setze mir Kopfhörer auf, große, dicke Dinger, bloß kein fitzeliges Ohrgestöpsel! Die Musik ganz laut, zur Zeit am liebsten wummernde House- oder Dubstep-Sachen. Mit den Füßen tanze ich dann ein bisschen, im Sitzen. Redaktionskolleginnen haben sich schon sachte beschwert, dass die Bässe brutal nach draußen wummern. Naja – ich sitze dann wohl so ähnlich am Schreibtisch wie dieses gelbe Techno-Plüschtier namens “Flat Eric” aus dem berühmten Mr-Oizo-Video aus den 90ern: Ich ruckele mit dem Kopf, immer im Takt. Für eine Viertel- oder halbe Stunde übernehmen die Bässe also das Kommando, ich lasse das Gehirn kurz mal etwas dümmlich vor sich hin zucken. Das zieht mich oft wieder hoch. Richtig schreiben kann ich mit Musik freilich nicht. Ich hole damit bloß Schwung.
Wann bist Du ehrlich?
Eine trickreiche Frage. Ich würde ja niemandem glauben, der sagt: “Ich bin immer ehrlich.” Nun bin ich aber selber jemand, der genau das von sich behaupten würde. Ha – was machen wir da? Nach 45einhalb Jahren Lebenserfahrung erlaube ich mir zu sagen: Lügen, Schummeleien, Halbwahrheiten – das sind alles extrem lästige Umwege, immer führen sie ja haarscharf am Eigentlichen vorbei. Eine fürchterliche Zeitverschwendung! Es ist nicht “geschickt” oder “clever”, sich selbst oder anderen etwas vorzumachen, sondern es ist letztlich eine Form der Selbsterniedrigung: das Eingeständnis, es nicht mit der Wirklichkeit aufnehmen zu können. Am Ende kommt es ohnehin meist heraus, dann ist es mindestens peinlich. Und selbst wenn man mit einer Lüge, mit Halbwahrheiten durchkommt, doch einen Erfolg erzielt: Man selber weiß ja ganz genau, dass es nur ein Pappmachée-Sieg ist, nicht Reales, im Kern hohl. Wie kann man sich an etwas freuen, das einfach nicht stimmt? Das war mir schon immer ein Rätsel. Weniger aus Altruismus, sondern allein schon aus rationalen Gründen, aus purer Berechnung, neige ich also zu Ehrlichkeit.
Wobei Ehrlichkeit, oder sagen wir forcierte Ehrlichkeit, positive und negative Effekte zugleich hat. Immer eins-zu-eins ehrlich alles zu sagen, was man denkt, führt natürlich oft zu Ärger. Oder es führt dazu, dass einem erst recht Misstrauen entgegen schlägt. Womit wir wieder beim Anfang dieser Antwort wären …
Woran glaubst Du?
Ich bin vermutlich eine Neben-Form von Atheistin. Ich wurde einst katholisch erzogen, verweigerte mit 14 aber die Firmung und trat zu meinem 18. Geburtstag aus. Damals mit der ungestüm jugendlichen – und völlig richtigen! – Begründung: “Ein Verein, der mich als Frau nur zur Hälfte ernst nimmt, muss auf meine Mitgliedschaft verzichten.” Zwischen Wissen und Glauben besteht ja ein markanter Unterschied: Ersteres könnte man im Zweifelsfall beweisen oder zumindest begründen. Letzteres nicht. Ich halte sehr viel von der Vernunft, als Instrument, als Werkzeug und Spielzeug. Dennoch gibt es eine hartnäckige Restschlacke von Glauben in mir: Ja, ich glaube schon, dass es etwas gibt, das größer ist als unsere Welt. Schon als kleines Mädchen hatte ich eigentlich immer ein gewisses Besucherinnern-Gefühl, das hat mich nie verlassen: Als ob ich nur kurz mal hier wäre und dann weitergehe. Ich glaube, dass es sich lohnt, sich Mühe zu geben, zu versuchen, Pi mal Daumen ein guter Mensch zu sein, so lange man hier ist. Ich glaube, dass sich das auszahlen wird, auch “danach”, sozusagen. Begründen kann ich diesen Glauben selbstverständlich nicht. Er ist einfach da, ich werde ihn wohl auch nicht mehr los.
Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?
Ich bekäme es mit der Angst zu tun. Nein, anders: Es würde mich wohl nicht mehr kratzen. Vermutlich ist man ja tot, wenn es einmal so weit ist.
Was bedeutet Frausein für Dich?
Wie gern würde ich sagen: nichts Besonderes. Aber das würde nicht stimmen. Es prägt mein Denken, sehr sogar. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke sagte einmal sinngemäß: “Frauen sind die besseren Intellektuellen.” Ich denke, das stimmt – denn ich nehme an, dass Meinecke folgendes gemeint hat: Als Frau heranzuwachsen, erzählt dir einfach von Anfang an sehr viel über Ausgrenzung, über die Mechanismen des Kleinmachens, über psychosoziale Machtstrategien aller Art. Dein Erfahrungsraum, ja, dein menschlicher Horizont wird dadurch letztlich größer oder tiefer als der eines Mannes.
Ich persönlich bin eindeutig eine Gewinnerin, bin im reichsten Teil der Welt groß geworden und hatte immer einen relativ leichten Zugang zu Bildung. Es war für mich also nicht allzu schwer, mir ein Leben zu bauen, das mir gefällt und in dem es mir vorkommt, als ob ich mich frei und selbstbestimmt bewegen kann. Aber auch in der globalen Frauen-Elite, zu der ich zähle, gibt es eben Sexismus, Übergriffe verbaler oder auch physischer Art. Oft klingt es auch nur ganz harmlos. Der Spruch “Für eine Frau bist du ganz schön tough/cool/witzig” begleitet mich nun zum Beispiel seit Jahrzehnten. Es ist meistens als Kompliment gemeint – aber es ist natürlich ein vergiftetes Kompliment. Die Zuschreibung, eine Andere zu sein – damit muss eine Frau ganz grundsätzlich leben, manchmal eben auch, wenn das Gegenüber glaubt, es “gut” mit ihr zu meinen. So wie Weiße nie wirklich erfahren können, was Rassismus ist, so können Männer – auch wenn es schwache, geknebelte Männer sind, die unsere Sympathie genießen und Unterstützung brauchen! – nie erfahren, wie es ist, wenn zu allem anderen Mist womöglich auch noch so etwas hinzukommt: “Du bist ja nur ein Mann, aber dafür …” Das Frausein hat meinen Blick also für alle möglichen -Ismen geschärft, etwa für den Rassismus und den Klassismus. Da sehen Frauen oft mehr als Männer, da ist ihre Wahrnehmung schärfer, die Instinkte geschulter, der Blick wacher. Insofern bin ich sehr gern eine Frau, gerade als Kopfarbeiterin.
Was die Freizeit-Sphäre angeht, etwa den Sex, bin ich komplett in der heterosexuellen Matrix gefangen, wie man heute sagt. Und im Privaten fühle ich mich als Frau so weit auch recht wohl darin. Ich verliebe mich halt in Männer und begehre sie auch. Meine besten platonischen Freunde sind ebenfalls meist Männer. Ich habe noch nicht herausgefunden, was genau das bedeutet.
5 FAKTEN:
Das Buch, das Dich durchs Leben begleitet:
Unmögliche Frage! Und hier die Antwort: “Eine Zierde für den Verein”, der erste Roman von Marieluise Fleißer, 1931 in der späten Weimarer Republik entstanden. Fleißer schreibt im Stil der Neuen Sachlichkeit, die Heldin ihres Romans ist eine Handelsvertreterin, die “Mehlreisende Frieda Geier”, eine berufstätige, recht selbstbewusste junge Frau aus der unteren Mittelschicht. Der ganze Roman bietet schon einen Ausblick auf die weitere Moderne, auf vieles, was danach bald kam – unter anderem eben der Faschismus. Ich las das Buch erstmals mit 17 oder 18 und dachte: “So muss man schreiben!” Der Roman hat auch einen unschlagbaren Untertitel, der Untertitel ist sogar fast das Beste, er ist im Grunde die Leitplanke für meine Arbeit, er lautet: “Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen”.
Das Lied, das Dich immer wieder zu Tränen rührt:
Unmögliche Frage! Jetzt aber wirklich. Es sind zu viele. Außerdem: Freudentränen, Liebeskummertränen, Wuttränen? Sorry, ich muss passen.
Dein Getränk:
Abhängig von Tageszeit und Lichteinfall drei Klassiker: Wasser, still – Kaffee, schwarz – Gin, mit Tonic Water.
Deine Ikone:
Wenn man darauf nicht ganz spontan die eine Antwort hat, hat man wohl keine solche Ikone. Wo ich jetzt gerade darüber nachdenke: Wenn man Menschen tendenziell mag, kann man vielleicht gar keine Ikone haben. Weil selbstverständlich niemand perfekt ist. Das ist ja das Interessante, letztlich auch das Beruhigende am Menschsein: No one has it all.
Dein Satz:
Ein englisches Sprichwort, dessen Herkunft ich bislang nicht klären konnte: Be careful what you wish for, because one day you might get it. Dieser Satz enthält eine ganz spezielle Spannung: Es könnte durchaus möglich sein, dass sich dein Wunsch erfüllt, warum denn nicht? Aber: Wäre es auch wirklich das, was Du willst, könnte es nicht auch übel enden – denk’ nach! Zwischen diesen beiden Polen, einem doch recht ausgeprägten Optimismus und einem gepflegten Skeptizismus, schlage ich mich so durch. Und ich kann sagen: Der Satz stimmt, er hat sich schon Dutzende Male bewahrheitet, es geht halt mal so, mal so aus.